Vom Dorf zur Stadt
Vom Dorf zur Stadt – Der lange Weg zur Stadtgemeinde
Seit dem 4. Mai 2024 ist Reutte eine Stadtgemeinde. Dies ist der Anlass für die Winterausstellung im Museum im Grünen Haus. Richard Lipp hat den Prozess vier Jahrzehnte lang begleitet und stand den politischen Trägern beratend zur Seite. „Ruthi prope Breitenwanch“ (Reutte bei Breitenwang) ist urkundlich 1278 erstmals genannt und bedeutet „Rodung“. Breitenwang war die bedeutendere Siedlung. Die Begradigung der Salzstraße, die teilweise auf der Trasse der Via Claudia Augusta angelegt worden war, und der Bau der Lechbrücke im Jahr 1464 stärkten die Entwicklung Reuttes auf Kosten von Breitenwang. 1471 löste Reutte Heiterwang als Niederlassung für den Salzhandel ab. 1489 wurde Reutte das Marktrecht durch Erzherzog Siegmund den Münzreichen verliehen. Dies war die letzte Markterhebung Tirols für über 400 Jahre. Die nächste war erst Landeck im Jahr 1904. In diesen vier Jahrhunderten hatte sich jedoch der Begriff Markt gewandelt: War es 1489 noch ein strenges Marktrecht, das ausschlaggebend war, bedeutete der Begriff 1904 nur noch einen Ehrentitel, der die wirtschaftliche Bedeutung hervorhob.
Auch im Städtewesen ist eine ähnliche Entwicklung festzustellen: Im 19. Jahrhundert fielen vielerorts die Stadtmauern, so auch in Vils, der zweitkleinsten Stadt Tirols, auf die einige Reuttener immer mit Neid blickten. 1868 wurden in Österreich Bezirkshauptmannschaften eingeführt, die den neuen Typ der Zentralörtlichkeit charakterisierten. Damals waren von den 66 österreichischen Bezirken noch 32 Märkte. Viele strebten schon bald das Stadtrecht an. 2023 gab es nur noch zwei Märkte als Bezirkshauptorte in Österreich: Tamsweg und Reutte. Ursprünglich war die Stadterhebung ein kaiserliches Privileg, erst 1925 ging dieses an die österreichischen Bundesländer über. Das erste Stadtprivileg durch das Land Tirol erhielt 1951 Wörgl, Reutte ist erst die zweite Stadterhebung.
Erste Schritte für Reuttes Entwicklung zur Stadt waren 1604 die Verlegung des Gerichts Ehrenberg von der Burg hinunter in den Markt und die Verleihung eines Wappens im Jahr 1664. Bereits 1743 sollte Reutte zur Stadt erhoben werden, was allerdings aus finanziellen Gründen ausgeschlagen wurde. 1754 wurde Reutte zum Hauptort der Oberinntalkreises, 1778 kam die zentrale Poststation hierher. 1806 gehörte das Außerfern für kurze Zeit zu Bayern, 1814 wieder zu Tirol. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Reutte zum zentralen Ort, nach 1945 erfolgte der konsequente Ausbau zum Wirtschafts-, Schul- und Bildungszentrum.
Andererseits verschwanden die historischen Wochenmärkte. Der letzte der sieben jährlichen Vieh- und Kramermärkte in Reutte fand 1973 statt. Seit 1989 gab es mehrere Anläufe Reutte zur Stadt zu erheben, zuerst unter Bürgermeister Siegfried Singer, dann unter seinem Nachfolger Helmut Wiesenegg. „Reutte wurde nach wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kriterien als Stadt geführt. Es war ein Anachronismus, wenn Reutte Mitglied im Österreichischen Städtebund war, aber noch als Markt firmierte,“ betont der Historiker Richard Lipp. Eine von vielen geforderte Bürgerbefragung wurde mehrheitlich verhindert. Der Marktgemeinderat entschied sich letztlich am 12. Oktober 2023 zur Antragstellung, die vom Land Tirol bestätigt wurde. Am 19. Juli 2024 fand der offizielle Festakt zur Stadterhebung statt. In der Ausstellung im Museum im Grünen Haus werden originale Urkunden gezeigt, die den langen Weg zum Hauptort des Bezirks Außerfern belegen.
Text und Bilder: Klaus Wankmiller
Bild 1: Die Bezirkshauptmannschaft in Reutte (seit 1868).
Von den 66 Bezirkshauptorten in Österreich waren 2023 nur Tamsweg und Reutte noch Märkte.
Bild 2: Das Bezirksgericht Reutte. 1604 wurde das Gericht Ehrenberg von der Burg hinunter nach Reutte verlegt.
Bild 3: Mit der Verlegung des Salzfaktors nach Reutte begann der wirtschaftliche Aufstieg des Marktes, der nun Stadtgemeinde ist. Diese Rodfuhrtafel erinnert an dieses Zeit, als in Reutte Salz eingelagert wurde.
Ort: Museum im Grünen Haus, Reutte